Der Dachs ist für mich eins der geheimnisvollsten Tiere denen man in unseren Wäldern begegnen kann. Einst wurde er wegen seinem „wunderbringenden“ Schmalz gepreist, heute wird er vorwiegend als Schädling der Jagdvögel von den Jägern bei der sogenannten Baujagd bejagen. Ich halte dieses Wesen für ein erstaunliches Tier, das besonders durch seine Intelligenz und Wachsamkeit auffällig ist. Das Beobachten wird somit zu einer echten Herausforderung. Er verlässt seinen Bau überwiegend in den Dämmerungsstunden oder während der Nacht. Tagesausflüge sind eher eine Seltenheit. Meinen Kenntnissen zufolge verlässt er nur im Spätfrühling und im Sommer (Paarungszeit, Aufzucht des Nachwuchses, Auflegen der Wintervorräte) seinen Bau. Die Möglichkeit zu haben, diesen Waldbewohner in seinem natürlichen Lebensraum zu beobachten und seinen Jungen beim Toben zuzusehen, gehört zu den schönsten Erlebnissen, die ich bei meinen Waldbesuchen sammeln konnte. Der Dachsbau ist besonders durch seine vielfältige Aufgliederung auffällig. Oft liegt der Unterschlupf auf einem erhobenen Platz und besitzt mehrere Eingänge. Laut der zugänglichen Fachliteratur kann das unterirdische Netz der Dachsgänge eine Gesamtlänge von bis zu 100 Meter und eine Tiefe von 5 Meter erreichen. Die Dachsbaue werden über mehrere Generationen bewohnt, wobei die Dachse ihre Räumlichkeiten mit anderen Tierarten, wie zum Beispiel dem Fuchs oder dem Marderhund, teilen. Ein charakteristisches Zeichen der Dachsbaue ist die umliegende Gegend. Dies ist besonders nach dem Winter regelrecht gut erhalten – die Gänge werden vom Neuen an ausgegraben. Der Bau wird üblich an gut bewachsenen und geschützten Stellen, wo die Dachse einen sicheren Zufluchtsort finden können, ausgegraben.
Auf die erste Begegnung mit den Dachsen habe ich lange gewartet. Zwar gibt es in meiner Gegend viele Dachsbaue, doch einen zum Fotografieren und zum Beobachten geeigneten Bau zu finden erfordert viel Zeit und Arbeit. Die Mehrheit der Unterschlüpfe liegt an dicht bewachsenen Stellen, wobei nicht jeder vom Grimbart bewohnt wurde. Und wenn doch mal ein Bau den Anforderungen gerecht ist, zeigen sich die Dachse nur zu nächtlichen Stunden. Zur Erfassung der Lebensrhythmen und der Tages-, bzw. der Nachtaktivitäten habe ich immer eine Fotofalle genutzt. Tagesaufnahmen kamen leider nicht in Frage. Das gleiche hat sich auch bei den anderen Unterschlüpfen wiederholt – mit Ausnahme eines Baus, auf den ich zufälligerweise durch meinen Freund geraten bin (Abenteuer beim Bau I.).
Dieses Jahr gab es einen ziemlich milden Winter, das Wetter begann sich schon im Februar zu erwärmen und anhand der Aufenthaltszeichen vor dem Bau habe ich gewusst, dass die Bewohner mit ihren Arbeiten voll im Gange sind. Ende März, an einem der wärmsten Tage, habe ich beschlossen, einen Bau zu kontrollieren. Nach meiner Ankunft habe ich festgestellt, dass der Bau frisch aufgegraben ist – ein klares Zeichen dafür, dass die Dachse den Frühjahrsputz bereits hinter sich haben. Da ich immer meine Foto-Ausrüstung mit mir trage, habe ich mich ruck-zuck entschieden, an dem besagten Tag mein Glück zu versuchen. Ich setzte mich in den Jungfichtenbewuchs, damit ich so gut wie nur möglich mit meiner Umgebung verschmelzen konnte. Ein letztes Mal prüfe ich die Windrichtung, um nicht vom Dachsen gewittert zu werden. Alles muss perfekt zusammenspielen, da ich ca. 10 m weit vom Baueingang saß. Wegen der kurzen Entfernung könnte ich einen zu „kurzen Brennpunkt“ haben, da mir die Lichtverhältnisse eine Lichtstärke von 2.8 aufgezwungen haben und ich ohne einen Telekonverter bei einem Brennpunkt von 300 mm lag. Die Sonne ging langsam unter, regungslos und in maximaler Stille lauerte ich vor dem Bau. Es wurde immer dunkler, als ich auf einmal bemerkt habe, dass sich ein Ast komisch bewegte. Ich richtete meinen Blick zu dem Eingang. Er war da. Aus dem Loch guckte ein grauweißer Kopf mit zwei kleinen, wie Kohle schwarzen Augen.
Der Dachs lief aus seiner Burg auf einen Hügel, direkt vor meine Kamera. Er setzte sich mit dem Rücken zu mir gewandt auf den Boden und reinigte sein Fell. Ich schaltete die Kamera auf die Videoaufnahme um und drückte den Auslöser. Der Dachs säuberte sich noch eine Weile, dann drehte er sich auf einmal um – etwas war ihm nicht geheuer. Er witterte kurz, doch man merkte ihm seine Unsicherheit an. Und dann, auf einmal, verschwand er in der Geborgenheit seines Königreichs. Ich kontrollierte die Videoaufnahme, hob dann den Kopf – was sehe ich nicht – es standen dort jetzt zwei Dachse! Zwei erwachsene Dachse liefen vor das Wildlager raus und sahen sich in der Umgebung um. Ich drückte erneut den Auslöser. Die Geräusche des Verschlusses haben sie wohl verunsichert, weswegen sie dann die Bühne geräumt haben. Es ist unglaublich. Gleich beim ersten Mal ist es mir gelungen, Dachse aufzunehmen und zu fotografieren. Auf den Wald fiel langsam die Dunkelheit, die Sichtverhältnisse wurden immer schlimmer. Ich nahm mein Fahrrad aus dem Gebüsch und fuhr mit den heutigen Erlebnissen nach Hause. So verlief mein erstes Aufeinandertreffen mit diesem Wesen.
Diese Stelle hatte öfters im Jahr besucht, doch nur ein einziges Mal habe die Dachse antreffen können. Die Lichtverhältnisse bei dem Treffen waren nicht gerade ideal, ich bin gar der Meinung, dass ich von einer fotografischen Dunkelheit sprechen könnte. Ich wollte gerade meine Sachen packen – die Kamera war schon vom Stativ abgebaut worden – als auf einmal 3 Dachse aus dem vor mir liegenden Loch aufgetaucht sind. Sie gingen in meine Richtung, bis sie zu einem naheliegenden Stumpf gekommen sind, wo sie dann anfingen herumzutoben. Als wollten sie sich vor mir aufziehen. Langsam setzte ich die Kamera wieder auf das Stativ und mit bedecktem Atem beginne ich mit der Videoaufnahme. Es ist mir gelungen, einige Augenblicke ihre Spiele in fast völliger Dunkelheit auf dem Video festzuhalten. Es gab sogar Augenblicke, wo sie bis auf Greifweite zu mir gekommen sind. Es waren wohl ziemlich junge Dachse, ungefähr ein Jahr alt, weswegen sie so einen mutigen Anschein erweckten. Bislang fehlte den jungen Streifengesichtern die paranoide und misstrauische Natur eines erfahrenen Altdachses, die ihnen befehlen würde, beim geringsten Geräusch augenblicklich im Bau zu verschwinden.
In dem Jahr habe ich nicht mehr die Dachse gesehen. Kurz nach dem Treffen betrat die Bühne die Marderhundfamilie. Die Dachse verließen den Bau nur während der tiefen Nacht, was auch die Fotofalle nachweisen konnte. Zudem begann im Juni die Angelsaison, die Angler bewegten sich häufiger in der Baugegend, was verhältnismäßig die Aktivitäten der Baubewohner in die späten Nachtstunden verlagert hat. Angesichts dieser Tatsachen unterließ ich die Besuche der unterirdischen Burg für ein Jahr, mit der Hoffnung, dass auch in der kommenden Saison der Bau besetzt sein wird und mir unvergessliche Erlebnisse bescheren würde.
Im März nächsten Jahres führten meine Schritte wieder zum besagten Bau. Das Jahr zeigt sich noch ziemlich kalt – im Wald zeigen sich hier und da die letzten Inselchen von Schnee. Nichtsdestotrotz treibt mich meine Neugier immer weiter vorwärts, ich tarne mich im dünnen Dickicht und warte ab, was passieren wird. Kurz nach Sonnenuntergang, nicht weit von mir entfernt, zieht ein Marderhund auf. Er trägt noch sein schönes flauschiges Winterfell. Er sieht sich um, wittert kurz und schwindet im Wald, wo er sich zum Knabbern suchen wird. Ich konnte einige Aufnahmen machen, bevor es dunkel wurde und ich die Segel gesetzt habe.
Ein ähnliches Szenario hat sich noch einige Male wiederholt – kurz nach Sonnenuntergang zeigten sich die Marderhunde und haben sich in der ein uns selben Richtung in den Wald begeben. Doch ab der zweiten Aprilhälfte ändern sie ihre Verfahrensweise. Die Aktivität rund um den Bau sinkt auf das Mindeste, die Speicherkarte in der Fotofalle ist leer und die Aufenthaltsmerkmale am Bau schwinden. Ich weiß nicht, was passiert ist. Als wäre der Bau leer. Die Marderhunde sind nicht mehr zu sehen, ebenso die Dachse. Etwas stimmt nicht. Ich besuche die Stelle noch einige Male, doch immer mit demselben Ergebnis – umgeben von den malerischen nächtlichen Waldstimmen kehre ich nach Hause mit einer leeren Speicherkarte und voller Gedanken, was passieren konnte. Mit der wachsenden Skepsis führen meine Schritte immer seltener zu diesem Bau. Diese Dürrezeit erstreckt sich bis zur zweiten Maihälfte.
An einem sonnigen Maitag bin ich nach Hause gekommen und nach einer kurzen Absprache mit meiner Frau habe ich „grünes Licht“ für ein Fotoshooting bekommen. Ich begebe mich gleich in mein Arbeitszimmer und bereite die Technik für den heutigen Abend vor. Da ich mir vorgenommen habe, in der Nähe des Staudamms zu fotografieren, habe ich noch ein gutes Mückenspray eingepackt – der letzte Besuch hat mir in Sachen Mückenattacken eine gute Lektion erteilt. Abends, kurz vor 6 Uhr, begebe ich mich auf den Weg. Die Sonne geht langsam unter, als ich nach einigen Minuten zu einem Waldstreifen bei dem Staudamm Oravská Priehrada gelange. Ich nehme einen bewachsenen Weg Richtung Wald. Mein Fahrrad verstecke ich in ein Fichtendickicht. Die restliche Strecke gehe ich zu Fuß, damit ich so wenig Lärm wie nur möglich mache. Heute weht ein schwacher Wind, man spürt ihn kaum, was mir die Bestimmung der Windrichtung äußerst erschwert. Ich hole aus der Tasche die Kindereihülle mit Mehl. Ich rüttle das Ei durch und die feinen Mehlkörner verraten mir, woher der Wind weht. Nordwesten. Ich setze mich gegen den Wind auf die gegenüberliegende Seite des Baus. Ich baue das Stativ auf und schmiere es mit Mückenspray an. Mit dem Tarnnetz verdecke ich das Stativ und meine ganze untere Körperhälfte. Den Oberteil tarne ich mit einem Lauben-Ghillie und einer Maske. Noch eine letzte Kontrolle der Kameraeinstellungen und ich tauche in die Stille des Waldes ab.
Ich genieße den Frühlingsgesang der Vögel und das magische „Rauschen“ des Waldes. Der Mückenspray funktioniert einwandfrei, die Blutsauger fliegen um mich herum, doch keiner traut sich nur einen Tropfen meines Blutes aufzusaugen. Die Sonne geht langsam unter, dennoch gibt es noch genügend Licht im Walde. Ich blicke für einen kurzen Augenblick auf. Hinter einer stattlichen Fichte, unter der sich ein Baueingang befindet, habe ich eine Bewegung gemerkt. Ich drehe die Kamera in die Richtung. Die Fichte steht in meinem Blickfeld, doch das Gewimmel hinter dem Baum verriet mir, dass sich dort etwas befindet. Auf einmal kommt hinter der Fichte ein junger Dachs hervor, gefolgt von einem weiteren. Die Jungen kamen dieses Jahr zu Welt, da sie nur einen Drittel der Körpergröße eines ausgewachsenen Dachses erreicht haben.
Die marschieren auf dem Hügel hin und her, direkt vor meinen Augen. Ich drücke den Auslöser und warte, wie die Dachse darauf reagieren werden. Die nehmen die Kamerageräusche nicht wahr und vergnügen sich unbeeindruckt weiter. Bei dem Tageslicht sieht es toll aus. Der Uhrzeiger steht gerade bei halb acht, als sich auf einmal weitere Dachse aus einer anderen Bauöffnung zu den beiden gesellen. Diesmal handelt es sich um zwei erwachsene Dachse, anscheinend sind es die beiden Elternteile. Die ganze vierköpfige Familie habe ich jetzt wie auf der Hand.
Nach kurzer Zeit sind die erwachsenen Dachse im Bau verschwunden. Die kleinen dagegen blieben noch auf der Oberfläche und widmeten sich ihren Spielchen. Das Theater dauert noch 20 Minuten, bis auch die beiden Jungtiere in der Geborgenheit ihres unterirdischen Königreichs verschwunden sind.
Jetzt ist mir völlig klar, wieso die Aktivität bei diesem Bau so niedrig gehalten wurde – die Dachse haben ihre Jungen hochgezogen. Da sie zudem in der Nachbarschaft auch noch Marderhunde aufhielten, wollten sie so wenig wie möglich ihre Jungen alleine lassen. Dieser eine Tag hatte es aber in sich. Das abendliche Schauspiel hat mir all die Tage, die ich leer ausging, ersetzt. Es ist ein tiefgreifendes und langandauerndes Erlebnis, kleine, wuschelige Dachse mit einem sauberen Fell, die stark einem Plüschtier ähneln, zu sehen. Und das alles in fast greifbaren Entfernung von 10 Metern.
Für einen kurzen Augenblick bin ich zum Teil der echten ungezähmten Wildnis, des unberührten natürlichen Lebens der wilden Tiere geworden und konnte ihre geheime Lebensweise verfolgen. Ein Gefühl, als würde ich zu ihnen gehören. In dem Jahr habe ich sie noch einige Male beobachtet, doch keine von den Begegnungen konnte sich dem ersten „Besuch der Dachsfamilie“ ausgleichen. Dieses Erlebnis gehört zu dem Gipfel meiner fotografischen Wanderungen. In diesem Jahr will ich wieder hin. Bereits jetzt spüre ich ein Kribbeln im Bauch vor lauter Vorfreude auf die kommenden Begegnungen mit meinen alten Bekannten vom Bau.
Erste teil:
Übersetzung : Mgr. Lukáš Chlebina https://pretlm.webnode.sk/
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